""
vom 06.06.2017

Registerbasierte Studien: Nordische Länder als Vorbild

Gemeinsame Pressemitteilung des NCT Heidelberg und der Universität Ulm

Registerbasierte Studien liefern wichtige Informationen für die Forschung und verbessern die klinische Versorgung von Patienten. In den nordischen Ländern werden die für die Studien benötigten Daten seit Jahrzehnten vorbildlich in Registern erfasst. Deutschland schöpft diese Möglichkeiten unzureichend aus. Das ergab ein Workshop an der Universität Ulm, dessen Ergebnisse Wissenschaftler des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) gemeinsam mit Ulmer, Münchner und Dänischen Kollegen im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht haben.

Das NCT Heidelberg ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe.

Registerbasierte Studien sind Untersuchungen, bei denen Wissenschaftler auf praxisbezogene Daten zu Diagnose und Therapie eines definierten Indikationsgebiets zugreifen können. In den nordischen Ländern werden in sogenannten Qualitätsregistern Daten etwa aller Herzinfarktpatienten, aller Krebspatienten oder aller Frühgeburten erfasst.Die Erfahrungen der nordischen Länder zeigen, dass qualitativ hochwertige registerbasierte Studien, insbesondere in der Kombination mit Biobanken, wichtige Erkenntnisse für die klinische Versorgung liefern und gesundheitsrelevante Aussagen für die ganze Bevölkerung ermöglichen. Neben den krankheits-spezifischen Registern werden auch Register zur Patientenversorgung ambulant und stationär geführt. Risiken und Ursachen von Krankheiten können realitätsnah bewertet werden, ebenso wie Diagnose- und Behandlungsverfahren.

Länder wie Schweden, Finnland, Norwegen, Island und Dänemark haben die Datengrundlage dieser Studien sogar gesetzlich geregelt. Für jeden Einwohner wird eine eindeutige Kennnummer erstellt, mit der demographische Angaben und Gesundheitsdaten aus landesweiten Registern verknüpft werden können. Wissenschaftler dürfen auf Anfrage Registerdaten verknüpfen und auch die Verwaltungsdaten für statistische Forschungszwecke verwenden. In Deutschland gibt es eine solche Regelung hingegen nicht. „Der Ansatz, dass Gesundheitsdaten mittels einer Kennnummer verknüpft werden können, würde eine deutliche Verbesserung, nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Qualitätssicherung darstellen. Verzerrungen von Studienergebnissen aufgrund von wenigen, ausgewählten Teilnehmern würden dann der Vergangenheit angehören“, erklärt Dr. Mahdi Fallah, Wissenschaftler am DKFZ und NCT Heidelberg, der seit vielen Jahren erfolgreich mit nordischen Registerdaten arbeitet.

Die Teilnehmer am Workshop „Möglichkeiten und Wertigkeit registerbasierter Studien“ an der Universität Ulm betrachteten die Arbeitsweise von zwei deutschen registerbasierten Studien genauer: das KORA-Herzinfarktregister Augsburg und das ALS (Amyotrophe lateralsklerose)-Register Schwaben an der Universität Ulm. Die Wissenschaftler stellten dabei fest, dass in Deutschland das Todesdatum in Einwohnermeldeämtern und Angaben zu Todesursachen über die Gesundheitsämter aktiv recherchiert werden müssen. Ein solches Vorgehen ist langwierig, teuer und fehleranfällig. Bundesweit gibt es in Deutschland zudem viele kleine Register, die zum Teil zeitlich begrenzt gefördert werden. Jedes dieser Register hat lokal ähnliche Infrastrukturprobleme zu lösen. „Die Einführung einer Kennnummer, wie sie sich in den nordischen Ländern bewährt hat, würde unsere Arbeit erleichtern und die Möglichkeiten der medizinischen Forschung wesentlich verbessern“ meint Professor Gabriele Nagel von der Arbeitsgruppe „Registerbasierte Studien“ der Universität Ulm. Häufig werden die Register nach Ende der Förderperiode geschlossen und die Infrastruktur und das Wissen gehen verloren. Die Deutschen sind zurückhaltend, wenn es darum geht ihre Daten der Wissenschaft zu übergeben, wünschen sich aber medizinischen Fortschritt und eine gute Versorgung. „Es ist wichtig, dass die Bevölkerung versteht, dass für informierte Entscheidungen z.B. ob eine Behandlung langfristig vorteilhaft ist, valide Daten auf Bevölkerungsebene notwendig sind“, meint Nagel.

In den nordischen Ländern wird das mit dem sogenannten „Opt-out“-Modell gelöst: Medizinische Daten von Patienten dürfen grundsätzlich für Forschung verwendet werden, es sei denn der Patient spricht sich dagegen aus. „In Deutschland müssen die Patienten explizit zustimmen, dass ihre Behandlungsdaten für die Forschung verwendet werden können. Ein „Opt-out“-Modell wie in den nordischen Ländern wäre kostengünstiger und könnte die Teilnehmerraten in Studien deutlich  steigern. Oftmals haben die Menschen nichts gegen eine Teilnahme an registerbasierten Studien, doch die Bürokratie ist ihnen zu umständlich“, berichtet Fallah.

Die Teilnehmer des Ulmer Workshops sind sich einig, dass nationale Anstrengungen nötig sind, um der breiten Bevölkerung ebenso wie Politikern, Medizinern und Gesundheitswissenschaftlern das enorme Potential bundesweit systematisch erfasster Gesundheitsdaten bewusst zu machen.

Originalpublikation zum Download
https://www.aerzteblatt.de/archiv/188454/Registerbasierte-Studien-Potenziale-noch-nicht-ausgeschoepft


Ansprechpartner für die Presse:
Dr. Friederike Fellenberg
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Im Neuenheimer Feld 460
69120 Heidelberg
Tel.: +49 6221 56-5930
Fax: +49 6221 56-5350
E-Mail: friederike.fellenberg@nct-heidelberg.de
www.nct-heidelberg.de

Annika Bingmann
Leitung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Universität Ulm
Helmholtzstraße 1689081 Ulm
Tel.: +49 731-50 22121
Fax.: +49 731-50 22048
Email: annika.bingmann@uni-ulm.de
www.uni-ulm.de

Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg, der Medizinischen Fakultät Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe. Ziel des NCT ist es, vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung möglichst schnell in die Klinik zu übertragen und damit den Patienten zugutekommen zu lassen. Dies gilt sowohl für die Diagnose als auch die Behandlung, in der Nachsorge oder der Prävention. Die Tumorambulanz ist das Herzstück des NCT. Hier profitieren die Patienten von einem individuellen Therapieplan, den fachübergreifende Expertenrunden, die sogenannten Tumorboards, zeitnah erstellen. Die Teilnahme an klinischen Studien eröffnet den Zugang zu innovativen Therapien. Das NCT ist somit eine richtungsweisende Plattform zur Übertragung neuer Forschungsergebnisse aus dem Labor in die Klinik. Das NCT kooperiert mit Selbsthilfegruppen und unterstützt diese in ihrer Arbeit. In Dresden wird seit 2015 ein Partnerstandort des NCT Heidelberg aufgebaut.

Universität Ulm
Die Universität Ulm, jüngste in Baden-Württemberg, wurde 1967 als Medizinisch-Naturwissenschaftliche Hochschule gegründet. Seither ist das Fächerspektrum deutlich erweitert worden. Die zurzeit rund 10 000 Studentinnen und Studenten verteilen sich auf vier Fakultäten („Medizin“, „Naturwissenschaften“, „Mathematik und Wirtschaftswissenschaften“ sowie „Ingenieurwissenschaften, Informatik und Psychologie“). Die Universität Ulm ist Motor und Mittelpunkt der Wissenschaftsstadt, in der sich ein vielfältiges Forschungsumfeld aus Kliniken, Technologie-Unternehmen und weiteren Einrichtungen entwickelt hat. Als Forschungsschwerpunkte der Universität gelten Lebenswissenschaften und Medizin, Bio-, Nano- und Energiematerialien, Finanzdienstleistungen und ihre mathematischen Methoden sowie Informations-, Kommunikations- und Quanten-Technologien. Im Times Higher Education Young University Ranking ist die Universität Ulm 2017 die beste deutsche Universität unter 50 Jahren und unter den Top 10 weltweit.