Krebspatienten unter Immuntherapie: Kein Hinweis auf erhöhtes Risiko für schwere Immunkomplikation nach COVID-19-Impfung
Steigert eine COVID-19-Impfung das Risiko von Krebspatientinnen und -patienten unter Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren, eine als „Zytokin-Sturm“ bezeichnete gefährliche Immun-Komplikation zu erleiden? Ein Team von Heidelberger Ärzten und Wissenschaftlern zeigte nun in einer klinischen Studie: Erhöhte Serumspiegel der charakteristischen Zytokine treten bei den Betroffenen häufig auf, doch klinisch relevante Fälle des gefürchteten Zytokin-Sturms wurden nicht beobachtet. Das Ergebnis unterstützt die derzeitige Empfehlung, Krebspatienten auch unter Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren gegen COVID-19 zu impfen.
Gemeinsame Pressemitteilung des Nationalen Centrums für Tumorerkrankung (NCT) Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und des Deutschen Konsortiums für translationale Krebsforschung (DKTK)
Nach Einschätzung der Robert Koch-Instituts gelten Krebspatientinnen und -patienten als Risikogruppe für schwere Verläufe einer COVID-19-Erkrankung. Deshalb ist es vielen Betroffenen besonders wichtig, sich mit einer Impfung gegen COVID-19 vor der Viruserkrankung zu schützen.
Doch ist die Corona-Impfung für Menschen mit Krebs mit besonderen Risiken verbunden? Immer mehr Krebspatienten werden heute mit einem so genannten „Immun-Checkpoint-Inhibitor“ behandelt, oft verkürzt als „Immuntherapie“ bezeichnet. Immun-Checkpoint-Inhibitoren blockieren Signale, mit denen der Krebs die T-Zellen des Immunsystems ausbremst. Bildlich gesprochen lösen die Wirkstoffe die Bremsen des Immunsystems und reaktivieren so die Immunantwort gegen die Tumorzellen.
„Es gab die Befürchtung, dass Immun-Checkpoint-Inhibitoren bei geimpften Personen starke, unkontrollierte Immunreaktionen auslösen könnten“, sagt Guy Ungerechts, Leitender Oberarzt der Medizinischen Onkologie am Universitätsklinikum und Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg sowie Leiter der klinischen Kooperationseinheit Virotherapie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD). Übermäßig aktivierte T-Zellen können dabei einen gefürchteten Zytokin-Sturm (CRS, cytokine release syndrome) auslösen. Zu dieser Komplikation, die sich mit hohem Fieber, abfallendem Blutdruck, Sauerstoffmangel und im Extremfall durch Multiorganversagen manifestiert, kann es kommen, wenn aktivierte Immunzellen große Mengen an Botenstoffen (Zytokine) ausschütten.
„Um unsere Patientinnen und Patienten bestmöglich beraten zu können, wollten wir herausfinden, ob es unter Behandlung mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren nach einer Corona-Impfung tatsächlich häufig zu einem CRS kommt. Außerdem wollten wir klären, ob die Bestimmung der mit CRS assoziierten Zytokine im Blut ein früher Hinweis auf die Entstehung eines klinisch manifesten CRS sein könnte“, so erklärt Thomas Walle, der leitende Autor der aktuellen Studie, der als Arzt am NCT Heidelberg tätig ist und in der von Guy Ungerechts geleiteten Abteilung am DKFZ sowie im Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung (DKTK) forscht.
Die Onkologen am NCT Heidelberg untersuchten in einer prospektiven Studie 64 geimpfte und 26 ungeimpfte Krebspatientinnen und -patienten unter Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren. Die Studienteilnehmer litten an 23 verschiedenen Krebsarten. Von der ersten Impfdosis bis vier Wochen nach der zweiten Impfung wurden die Patienten auf unerwünschte Nebenwirkungen beobachtet. Bei keinem der Patientinnen und Patienten trat ein klinisch relevantes CRS auf. Dennoch waren bestimmte Zytokine, die charakteristischerweise mit einem CRS in Verbindung stehen, bei 40 Prozent der Teilnehmenden nach der Impfung auf etwa das 1,5-fache des Ausgangswerts erhöht.
„Unter Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren scheint die COVID-Impfung zwar häufig die Ausschüttung CRS-assoziierter Zytokine auszulösen, aber nur selten Symptome zu verursachen“, sagt Sunanjay Bajaj. „Zytokin-Messungen alleine sind daher wahrscheinlich nicht geeignet, um das Risiko eines CRS abzuschätzen.“ Der Erstautor der aktuellen Studie forscht als Medizinstudent in der von Guy Ungerechts geleiteten Kooperationseinheit sowie im DKTK.
Unter den geimpften Patienten beobachteten die Ärzte außerdem ein verbessertes Gesamtüberleben, das sich nicht allein durch die höhere COVID-19-bedingte Sterblichkeit bei den Ungeimpften erklären ließ. „Natürlich muss unser Ergebnis durch eine Studie mit größerer Fallzahl validiert werden“, so Guy Ungerechts. „Doch zunächst unterstützen unsere Daten die derzeitige Empfehlung an Krebspatienten unter Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren, die Impfung gegen COVID-19 wahrzunehmen, um sich vor schweren Verläufen der Virusinfektion zu schützen.“
Publikation:
Thomas Walle, Sunanjay Bajaj, Joscha A. Kraske, Thomas Rösner, Christiane S. Cussigh, Katharina A. Kälber, Lisa Jasmin Müller, Sophia Boyoung Strobel, Jana Burghaus, Stefan M. Kallenberger, Christoph K. Stein-Thöringer, Maximilian Jenzer, Antonia Schubert, Steffen Kahle, Anja Williams, Birgit Hoyler, Lin Zielske, Renate Skatula, Stefanie Sawall, Mathias F. Leber, Russell Z. Kunes, Johannes Krisam, Carlo Fremd, Andreas Schneeweiss, Jürgen Krauss, Leonidas Apostolidis, Anne Katrin Berger, Georg M. Haag, Stefanie Zschäbitz, Niels Halama, Christoph Springfeld, Romy Kirsten, Jessica C. Hassel, Dirk Jäger, NCT ANTICIPATE Investigators and Guy Ungerechts. Cytokine release syndrome-like serum responses after COVID-19 vaccination are frequent and clinically inapparent under cancer immunotherapy. Nature Cancer 2022, DOI: https://doi.org/10.1038/s43018-022-00398-7
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Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe. Ziel des NCT ist es, vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung möglichst schnell in die Klinik zu übertragen und damit den Patienten zugutekommen zu lassen. Dies gilt sowohl für die Diagnose als auch die Behandlung, in der Nachsorge oder der Prävention. Die Tumorambulanz ist das Herzstück des NCT. Hier profitieren die Patienten von einem individuellen Therapieplan, den fachübergreifende Expertenrunden, die sogenannten Tumorboards, erstellen. Die Teilnahme an klinischen Studien eröffnet den Zugang zu innovativen Therapien. Das NCT ist somit eine richtungsweisende Plattform zur Übertragung neuer Forschungsergebnisse aus dem Labor in die Klinik. Das NCT kooperiert mit Selbsthilfegruppen und unterstützt diese in ihrer Arbeit. Seit 2015 hat das NCT Heidelberg in Dresden einen Partnerstandort. In Heidelberg wurde 2017 das Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) gegründet. Die Kinderonkologen am KiTZ arbeiten in gemeinsamen Strukturen mit dem NCT Heidelberg zusammen.
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg: Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit fast 2.000 Betten werden jährlich circa 84.000 Patienten voll- und teilstationär und mehr als 1.000.000 Patienten ambulant behandelt.
Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Deutschen Krebshilfe (DKH) hat das UKHD das erste Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg etabliert. Ziel ist die Versorgung auf höchstem Niveau als onkologisches Spitzenzentrum und der schnelle Transfer vielversprechender Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik. Zudem betreibt das UKHD gemeinsam mit dem DKFZ und der Universität Heidelberg das Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ), ein deutschlandweit einzigartiges Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.
Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit befinden sich an der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) rund 4.000 angehende Ärztinnen und Ärzte in Studium und Promotion.
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)
Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) ist eine gemeinsame, langfristige Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der beteiligten Bundesländer und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und wurde als eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZGs) gegründet. Im DKTK verbindet sich das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) als Kernzentrum langfristig mit onkologisch besonders ausgewiesenen universitären Partnerstandorten und Kliniken in Deutschland. Mit dem DKFZ kooperieren Forschungseinrichtungen und Kliniken an Standorten Berlin, Dresden, Essen/Düsseldorf, Frankfurt/Mainz, Freiburg, Heidelberg, München und Tübingen, um optimale Bedingungen für die kliniknahe Krebsforschung zu schaffen. Das Konsortium fördert interdisziplinäre Forschungsthemen an der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und Klinik, sowie klinische Studien zu innovativen Therapie- und Diagnoseverfahren. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Aufbau von Forschungsplattformen, um den Einsatz personalisierter Krebstherapien zu beschleunigen und die Diagnose und Prävention von Krebserkrankungen zu verbessern.