""
vom 20.02.2024

Hohe Auszeichnung für wegweisende Erkenntnisse zu Hirntumoren

Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD)

Wissenschaftler der Universität Heidelberg, des Universitätsklinikums Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums entdeckten, wie Nervenzellen des Gehirns Kontakte zu den Tumorzellen des Glioblastoms knüpfen und so deren Ausbreitung befeuern. Nun ist das Team dafür von der portugiesischen BIAL Stiftung mit dem hochdotierten „BIAL Award in Biomedicine“ ausgezeichnet worden. Die Wissenschaftler nehmen den Preis heute bei einer feierlichen Ehrung in Lissabon aus den Händen des portugiesischen Gesundheitsministers entgegen.

Die Ergebnisse der Heidelberger Wissenschaftler werfen ein ganz neues Licht auf die Interaktion von Hirntumor und Nervengewebe: Gesunde Nervenzellen des Gehirns knüpfen Kontakte zu den Tumorzellen von Glioblastomen und treiben so das Wachstum dieser unheilbaren Hirntumoren voran. Für diese wegweisenden Erkenntnisse, veröffentlicht 2019 im Journal „Nature“, wird das Team um Dr. Dr. Varun Venkataramani, Professor Dr. Frank Winkler und Professor Dr. Thomas Kuner, die an der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg forschen, am 20. Februar 2024 mit dem „BIAL Award in Biomedicine“ ausgezeichnet. Der mit 300.000 Euro dotierte Preis wird alle zwei Jahre von der portugiesischen BIAL Foundation vergeben und würdigt eine wissenschaftliche Entdeckung im Bereich der Biomedizin von außergewöhnlicher Qualität und wissenschaftlicher Relevanz.

Die Heidelberger Wissenschaftler werden den Preis heute Abend bei einer Festveranstaltung, stellvertretend für alle 29 Autoren des Artikels, aus den Händen des portugiesischen Gesundheitsministers Manuel Pizarro entgegennehmen. Hier geht es zur Aufzeichnung der Veranstaltung.

Glioblastome sind höchst aggressive Tumoren des Gehirns und sind bislang unheilbar. Betroffene sterben trotz intensiver Behandlung mit Operation, Chemo- und Strahlentherapie meist innerhalb von zwei Jahren. Einen Grund dafür entdeckte das Team unter Leitung von Professor Dr. Frank Winkler, Arbeitsgruppenleiter in der Klinischen Kooperationseinheit Neuroonkologie von Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) und Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ), bereits 2015: Die Glioblastomzellen sind untereinander durch lange Zellfortsätze verbunden und wachsen wie ein Pilzgeflecht in das gesunde Gehirn ein. Zum einen kann dieses Geflecht nicht operativ entfernen werden, zum anderen tauschen die Zellen über diese Verbindungen wichtige Stoffe aus und schützen sich so vor den Schäden durch die Therapie.

Als Kollaborateure der feindlichen Zellen enttarnte Dr. Dr. Varun Venkataramani bei seiner Forschung in den Laboren von Professor Winkler und Professor Dr. Thomas Kuner, Leiter der Abteilung Funktionelle Neuroanatomie am Institut für Anatomie und Zellbiologie, die gesunden Nervenzellen des erkrankten Gehirns: Unter dem Elektronenmikroskop und mit anderen speziellen mikroskopischen Techniken entdeckte er, dass die Nervenzellen auf Tuchfühlung mit den Tumorzellen gehen und Zell-Zell-Kontakte, sogenannte Synapsen, ausbilden. Darüber geben sie Erregungssignale an die langen Zellfortsätze der Glioblastomzellen weiter. Dies ist eine treibende Kraft für das Tumorwachstum und das Ausschwärmen der Tumorzellen in das Hirngewebe. „Aktuell gehen wir davon aus, dass Hirnaktivität die Glioblastome in ihrer Ausbreitung unterstützt“, so Varun Venkataramani.

Ihre Untersuchungen machten die Forscher an Tumoren aus menschlichen Glioblastomzellen, die sie auf Mäuse übertragen hatten, Zellkulturen mit menschlichen Nerven- und Tumorzellen sowie Gewebeproben von Patienten. Sie nutzten dazu unter anderem eine breite Palette moderner Mikroskopietechniken, um die mikrometerkleinen Synapsen sowie die Signalübertragung an die Tumorzellen darzustellen. „Nur mit einem so großen Methodenspektrum konnten wir zeigen, dass es sich bei den Zell-Zell-Kontakten auf Seite der Nervenzellen tatsächlich um normale erregende Synapsen handelt, die genauso funktionieren und auch mit denselben Wirkstoffen gehemmt werden können“, so Professor Dr. Thomas Kuner. „Das öffnete eine Tür in die klinische Anwendung.“

So ließ sich die Signalübertragung von Nerven- auf Tumorzellen im Tierversuch unter anderem mit einem Medikament unterbrechen, das bei Epilepsien zum Einsatz kommt. Bei Mäusen, die dieses Medikament erhielten, wuchs das Glioblastom deutlich langsamer. „An diesem Punkt sind wir nicht stehengeblieben, sondern haben zügig daran gearbeitet, eine entsprechende klinische Studie auf den Weg zu bringen. Seit Januar 2024 erhalten die ersten Patientinnen und Patienten mit wiedergekehrtem Glioblastom vor der Operation das Epilepsie-Medikament im Rahmen dieser Studie“, freut sich Professor Winkler und hofft, dass die Ergebnisse von 2019 vielleicht schon bald die Therapie von Betroffenen unterstützen können. An der Studie des UKHD und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg werden deutschlandweit bis zu 66 Patientinnen und Patienten teilnehmen.

Inzwischen mehren sich wissenschaftliche Hinweise, dass das Nervensystem auch bei anderen Krebsarten eine zentrale Rolle spielen könnte. Für die Wissenschaftler Venkataramani, Winkler und Kuner markiert die nun ausgezeichnete Arbeit darum den Grundstein eines neuen Forschungsbereichs, der „Cancer Neuroscience“, der das komplexe Zusammenspiel von Nervensystem und Krebs ergründen will. „Die Cancer Neuroscience werden zukünftig in der Krebsforschung an Bedeutung gewinnen. Wir werden zum Beispiel im Sonderforschungsbereich „UNITE GLIOBLASTOMA – Überwindung der Therapieresistenz von Glioblastomen (SFB1389)“ und in weiteren geplanten Forschungsverbünden unseren Teil dazu beitragen“, so Winkler. Der SFB UNITE GLIOBLASTOMA wird von Heidelberg aus koordiniert, Sprecher ist Professor Dr. Wolfgang Wick, Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik des UKHD und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit „Neuroonkologie“ von UKHD und DKFZ.

Bildbeschreibung

Bei der feierlichen Preisverleihung in Lissabon (v.l.): Der portugiesische Gesundheitsminister Manuel Pizarro, Prof. Dr. Frank Winkler, Dr. Dr. Varun Venkataramani, Prof. Dr. Thomas Kuner und Luís Portela, Vorstand der BIAL Foundation. Quelle: BIAL Foundation

Literatur

Venkataramani V, Tanev DI, Strahle C, et al. Glutamatergic synaptic input to glioma cells drives brain tumour progression. Nature. 2019;573(7775):532-538. doi:10.1038/s41586-019-1564-x

Videos

BIAL Award in Biomedicine 2023 - Award Ceremony - YouTube

Video zu den Preisträgern und ihrer Forschung
 

Weitere Informationen

BIAL Foundation

Pressemitteilung des UKHD 19. September 2019: Nervenzellen feuern Hirntumorzellen zum Wachstum an

Neurologische Klinik am UKHD

Klinische Kooperationseinheit Neuroonkologie

Institut für Anatomie und Zellbiologie

Labor Dr. Dr. Venkataramani


Kontakt

Prof. Dr. med. Thomas Kuner
Direktor
Abteilung für Funktionelle Neuroanatomie
Institut für Anatomie und Zellbiologie
Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg
E-Mail: thomas.kuner@uni-heidelberg.de

Prof. Dr. med. Frank Winkler
Geschäftsführender Oberarzt
Neurologische Universitätsklinik Heidelberg
Klinische Kooperationseinheit Neuroonkologie, Deutsches Krebsforschungszentrum
Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg
E-Mail: frank.winkler@med.uni-heidelberg.de

Dr. med. Dr. rer. nat. Varun Venkataramani
Arbeitsgruppenleiter und Assistenzarzt Neurologie
Neurologische Universitätsklinik Heidelberg
Abteilung für Funktionelle Neuroanatomie
Institut für Anatomie und Zellbiologie
Klinische Kooperationseinheit Neuroonkologie, Deutsches Krebsforschungszentrum
Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg
E-Mail: varun.venkataramani@med.uni-heidelberg.de

Diese Pressemitteilung finden Sie auch online in im UKHD Newsroom.

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg: Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang

Das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für Patientinnen und Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 14.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit rund 2.500 Betten werden jährlich circa 86.000 Patientinnen und Patienten voll- und teilstationär und mehr als 1.100.000 Patientinnen und Patienten ambulant behandelt. Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Deutschen Krebshilfe (DKH) hat das UKHD das erste Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg etabliert. Ziel ist die Versorgung auf höchstem Niveau als onkologisches Spitzenzentrum und der schnelle Transfer vielversprechender Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik. Zudem betreibt das UKHD gemeinsam mit dem DKFZ und der Universität Heidelberg das Hopp Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), ein deutschlandweit einzigartiges Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit befinden sich an der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) rund 4.000 angehende Ärztinnen und Ärzte in Studium und Promotion. www.klinikum.uni-heidelberg.de

Dr. Stefanie Seltmann
Pressesprecherin
Leiterin Unternehmenskommunikation
Tel. +49 6221 56-5052
Stefanie.Seltmann@med.uni-heidelberg.de

Julia Bird
Stellvertretende Pressesprecherin
Tel. +49 6221 56-7071
Fax. +49 6221 56-4544
julia.bird@med.uni-heidelberg.de