""

HNPCC-Syndrom

Jährlich erkranken ca. 70.000 Menschen an Darmkrebs. Bei etwa 25% der Patienten zeigt sich eine familiäre Häufung und bei ca. 5% liegt eine erbliche Form von Dickdarmkrebs vor.

Zu den erblichen Tumorerkrankungen (hereditäre Tumordispositions-Syndrome) des Magen-Darm-Traktes gehören das HNPCC oder Lynch-Syndrom und die erblichen Polyposis-Syndrome (Familiäre adenomatöse Polyposis, MUTYH-assoziierte Polyposis, Peutz-Jeghers-Syndrom, Familiäre juvenile Polyposis und Cowden-Syndrom).

HNPCC (Hereditäres Nicht-Polypöses Colorektales Carcinom) bezeichnet die erbliche Form von Tumorerkrankungen des Magen-Darm-Traktes ohne Polyposis. Tumore entstehen im Magen, im Dünndarm, im Dickdarm, im Nierenbecken, in den Harnleitern, in der Schleimhaut der Gebärmutter, in den Eierstöcken, in der Haut und selten auch im Gehirn. Im Verdauungstrakt und in der Gebärmutter können sich Polypen entwickeln, die zunächst gutartig sind, sich aber innerhalb kurzer Zeit zu Krebs entwickeln können.

Dem HNPCC-Syndrom liegt eine genetische Veränderung (Mutation) der Erbinformation zugrunde. Der Zellkern jeder menschlichen Körperzelle enthält 23 Chromosomenpaare. Auf diesen Chromosomen sind die Träger der Erbanlagen (Gene) aufgereiht. Jeweils eines der Chromosomen stammt vom Vater, das andere von der Mutter. Jedes Gen ist also in jeder Zelle doppelt vorhanden. Ist nun eines der beiden Gene verändert, reicht dies für die Entwicklung der Erkrankung aus (autosomal-dominante Vererbung).

Bei HNPCC liegt in den meisten Fällen eine genetische Veränderung (Mutation) auf einem der DNA-Reparaturgene (DNA-Mismatch-Repair-Gene) vor. Wird dieses veränderte Gen entweder von der Mutter oder vom Vater an eines der Kinder vererbt, so ist dieses Kind Träger der für ein HNPCC ursächlichen Mutation. Die Veränderung eines DNA-Reparaturgens führt dazu, dass Fehlentwicklungen in der Entstehung einer Zelle nicht repariert werden können und diese defekte Zelle unkontrolliert wächst, also Krebs entsteht. Die betroffene Person ist in Gefahr, an bösartigen Tumoren des Magens, des Dünndarms, des Dickdarms, des Nierenbeckens, der Harnleiter, der Schleimhaut der Gebärmutter, der Eierstöcke, der Haut und des Gehirns zu erkranken.

Für HNPCC typische Symptome treten nicht auf. Entwickelt sich Krebs im Dünn- oder Dickdarm, so unterscheiden sich die Symptome bei durch erbliche Veranlagung entstandenem Krebs nicht von denen des spontan entstandenen Darmkrebses. Es können Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Bauchschmerzen, Verstopfung oder Durchfall, Blutauflagerungen auf dem Stuhl und Blutarmut auftreten, die jedoch ein schon fortgeschrittenes Stadium der Krebserkrankung bedeuten können.

Der Verdacht auf ein HNPCC besteht, wenn eine an den genannten Organen entstandene Krebserkrankung in sehr jungem Alter (vor Erreichen des 50. Lebensjahres) auftritt, bei einem Menschen gleichzeitig oder nacheinander zwei Krebserkrankungen aus dem HNPCC-Spektrum aufgetreten sind oder in einer Familie auch erstgradig verwandte Angehörige (Eltern, Geschwister, Kinder) des an Krebs erkrankten Patienten erkrankt sind.

Besteht der Verdacht auf ein HNPCC-Syndrom, kann nach Veränderungen der DNA-Mismatch-Repair-Gene gesucht werden. Zuerst wird Tumorgewebe dahingehend untersucht, ob die Eiweiße (Proteine), die sich in einer Zelle befinden müssen, tatsächlich vorhanden sind. Bei Vorliegen eines HNPCC können ein oder mehrere Proteine in der Zelle fehlen. Sind nicht alle Proteine nachweisbar, wird eine Mikrosatellitenstabilitäts-Analyse am Tumorgewebe durchgeführt. Zeigt sich hier eine Veränderung (Mikrosatelliten-Instabilität), so besteht der hochgradige Verdacht auf ein HNPCC.

In diesem Fall wird an einer Blutprobe des Patienten eine Mutations-Analyse (Suche nach einer Veränderung auf einem Gen) durchgeführt. Am häufigsten werden Veränderungen der Gene MLH1 und MSH2, seltener der Gene MSH6 und PMS2 nachgewiesen. Liegt eine Mutation auf einem dieser Gene vor, so ist die Diagnose HNPCC gesichert.

Eine Therapie der genetischen Veränderungen bei HNPCC ist nicht möglich. Tritt ein Tumor aus dem Spektrum der durch HNPCC verursachten Tumore auf, so wird er chirurgisch entfernt. Bei Nachweis von Metastasen werden zusätzliche Behandlungen (Immuntherapie, Chemotherapie, Bestrahlung) erforderlich.

Empfohlene Vorsorgeuntersuchungen, ergänzend zu den individuellen Tumorkontrolluntersuchungen (nach den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Konsortiums „Familiärer Darmkrebs“):

Ab dem 25. Lebensjahr alle 12 – 24 Monate:

  • Körperliche Untersuchung mit rektal-digitaler Untersuchung
  • Coloskopie mit Endoskopie des terminalen Ileums
  • Optional Sonographie des Abdomens


Ab dem 25. Lebensjahr alle 12 – 36 Monate:

  • Oesophago-Gastro-Duodenoskopie


Ab dem 30. – 35. Lebensjahr optional:

  • Durchführung einer transvaginalen Sonographie und einer Endometriumbiopsie


Aufklären über optionale Hysterektomie nach Abschluss der Familienplanung.

Wurde bei einem an Krebs Erkrankten ein HNPCC-Syndrom nachgewiesen, besteht für seine blutsverwandten Angehörigen die Möglichkeit der prädiktiven Diagnostik (vorhersagende Mutationstestung). Diese Untersuchung kann nach Erreichen der Volljährigkeit, nach erfolgter genetischer Beratung und mit dem schriftlichen Einverständnis der betreffenden Person durchgeführt werden.

Wird die in der Familie bekannte Mutation nachgewiesen, ist dieser Angehörige Mutationsträger. In diesem Fall sind die genannten Vorsorgeuntersuchungen ab dem 25. bzw. 35. Lebensjahr dringend anzuraten. Das Fortschreiten eines Tumors, der sich z. B. in einem Darmpolypen unbemerkt entwickelt hat und noch keine Symptome verursacht, kann verhindert werden, indem der Polyp oder eine verdächtige Schleimhautveränderung einfach entfernt wird.

Wird bei einem Angehörigen die in der Familie bekannte Mutation nicht nachgewiesen, so ist er nicht Anlageträger für ein HNPCC und benötigt keine intensiven Vorsorgeuntersuchungen.

Nur Mitglieder einer Familie, die die krankheitsverursachende genetische Veränderung in sich tragen, können sie an ihre Kinder weitervererben (autosomal dominante Vererbung, d. h. jedes Kind des Anlageträgers hat ein 50%iges Risiko, die Anlage für HNPCC geerbt zu haben). Für die Kinder von Angehörigen, bei denen die Mutation nicht nachgewiesen werden konnte, besteht kein Risiko für HNPCC.

Forschungsprojekte der Arbeitsgruppe HNPCC: