Mit spitzer Feder Über gehetzten Ehrgeiz Harald Martenstein ist Redakteur beim Berliner Tagesspiegel und veröffentlicht regelmäßig eigensinnige und unterhaltsame Beiträge im ZEITmagazin Seine Themen findet er in der großen Politik genauso wie in den kleinen Zumutungen des Alltags Lesen Sie hier wie er über den Ehrgeiz unserer Zeit denkt Radtouren Wanderungen Kochen das sind Tätigkeiten die ich liebe aber ich übe sie nur selten aus Wer hindert mich 1 KOLUMNE NCT connect 1 2017 Fast alle die ich kenne singen das Loblied der Muße Radtouren Wande rungen Museumsbesuche Kochen das sind Tätigkeiten die ich liebe aber ich übe sie nur selten aus Wer hin dert mich Es gibt angeblich ein paar objektive Gründe bei uns allen Man muss ja Geld verdienen obwohl bei vielen weniger reichen würde Andere müssen dringend die Wohnung re novieren oder die Welt retten Es gibt immer was zu tun Ich glaube wir die Gehetzten belü gen uns selbst In Wahrheit haben wir eine Entscheidung getroffen Wir ha ben genau das Leben gewählt das wir führen und über das wir oft jammern Die Dinge die wir tun würden wenn wir endlich mal Zeit hätten bringen uns nämlich in der Regel keine Aner kennung Diese nutzlosen schönen Sachen das Wandern das Spielen was auch immer steigern nicht unser Selbstwertgefühl nur unser Wohlbe finden Ehrgeiz ist ja nicht schlecht Eine Gesellschaft in der es keinen Ehrgeiz gibt wäre wahrscheinlich weniger komfortabel als unsere Erfindungen große Kunstwerke große Unterneh men meistens spielt dabei Ehrgeiz eine Rolle Natürlich ist auch beim Ehrgeiz Übertreibung schlecht Er lässt den Spitzensportler zum Doping greifen oder den Bankmanager zum Betrug indem er Bilanzen frisiert wo möglich nur um gut dazustehen Ehr geizig sind Männer wie Donald Trump oder Wladimir Putin aber ehrgeizig waren sicher auch Albert Einstein oder Marlene Dietrich Ich muss zugeben dass es eine Art Sucht ist In mir spricht eine Stimme die mich antreibt manch mal hasse ich sie In einem Interview des Magazins der Süddeutschen wurde dem Sänger Peter Maffay die Frage gestellt warum er nicht kürzer tritt Maffay produziert seit 45 Jahren Alben wie ein Akkordarbeiter fand der Interviewer Maffay gibt unermüd lich Konzerte leitet Stiftungen und steht jeden Morgen um acht in seiner Firma vierzig Angestellte Er hätte das finanziell nicht nötig Es bringt auch karrieremäßig nicht mehr viel Seine alten Fans werden ihm so oder so die Treue halten viele neue werden wohl nicht dazukommen Maffay erzählte von seinen Eltern eine rumä nische Geschichte in der Folter und ein Selbstmordversuch vorkamen und in der über allem der Wille seiner Eltern stand dass der Sohn es besser haben soll Der Interviewer zitierte den Schrift steller Walter Kempowski Mit fünf Jahren half ich meiner Mutter beim Heißmangeln Nachdem ich zum drit ten Mal losgelassen hatte schimpfte sie Deinem Bruder Robert ist das nie passiert That makes me tick Die Arbeit macht meistens Spaß bis zu einem gewissen Punkt und danach machen manche trotzdem weiter Ich glaube die meisten die so leben wollen eine Urkränkung über winden einen Verlust ein Defizit sie wollen etwas beweisen zum Beispiel ihren Wert Dieser Hunger nach Wert schätzung sitzt so tief in ihnen dass er niemals gestillt wird Ist das Küchen psychologie Vielleicht Meine Generation ist die Generation die bald in Rente geht Jetzt kann man noch ein letztes Mal Weichen stellen Endlich könnten wir tun was wir immer mal tun wollten Viele von uns werden einfach weitermachen Die meisten haben nicht mehr viel zu gewinnen vielleicht können sie ihren Status quo eine Weile verteidigen Ein Autor könnte immerhin noch sein bestes Buch schreiben manchen gelingt das erst in den späten Jahren Wäre es nicht sinnvoller Rad zu fahren und zu lesen Aber man bleibt wer man war Die Zeit die so knapp geworden ist ignoriert man bis eines Tages Ruhe ist und es keine Zeit mehr gibt

Vorschau connect 1_2017 Seite 34
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